Geschichtliches


Als Dichter die Macht übernahmen

Die Theresienwiese ist der Ort, an dem alles beginnt. Hier versammeln sich am Nachmittag des 7. November 1918 zwischen 40.000 und 60.000 München um unter der Leitung von Kurt Eisner und Erhard Auer gemeinsam für Frieden und gegen die Monarchie zu demonstrieren. Nach einigen aufrührenden Reden setzen sich die Demonstranten in Richtung Friedensengel in Bewegung. Unterwegs spaltet sich eine kleinere Gruppe von Revolutionären von dem Hauptzug ab. Geführt von Eisner ziehen diese weiter zu den Kasernen Münchens und zur Guldeinschule, die als Munitionslager genutzt wird, um die militärische Überlegenheit der Revolution zu sichern. Die Revolutionäre treffen nirgendwo auf großen Widerstand. Kampflos werden alle Offiziere festgenommen und die kriegsmüden Soldaten laufen zu den Aufständischen über. Mit diesen Streitkräften kann die Stadt über Nacht militärisch gesichert werden. 

Der neugebildete, im Mathäser-Bräu tagende Arbeiter- und Soldatenrat lenkt nun den weitern Verlauf der revolutionären Nacht. Als nächstes fallen Hauptbahnhof, Telegrafenamt, Kriegsministerium, Polizeipräsidium und Zeitungsredaktion in die Hände der neuen Regierung. 

Wenig später wird im Mathäser-Bräu der Freistaat Bayern ausgerufen. In den Druckereien lässt man umgehend Plakate drucken, die die Revolution proklamieren. Noch in dieser Nacht flieht Ludwig III., der letzte Wittelsbacher-König, aus seiner Residenzstadt München.


Süddeutsches Monatsheft zu Kurt Eisner von 1922


Reflexion zu "Die auswärtige Politik von Kurt Eisner" von Dr. Pius Dirr

Süddeutsche Monatshefte Februar 1922:

Auswärtige Politik Kurt Eisners 

 

Bei dem Dokument handelt es sich um einen wissenschaftlichen Beitrag zur Diskussion der 20er Jahre um die außenpolitsche Bedeutung der Revolution von 1918. Der Archivar und Landtagsabgeordnete Dirr unternimmt damit einen Versuch der Verwissenschaftlichung der „Dolchstoßlegende“, einer in nationalistischen und monarchistischen Kreisen populären Verschwörungstheorie, die behauptet, der Erste Weltkrieg sei erst durch die Novemberrevolution zur militärischen Niederlage geworden. 

 

Zur Person des Autors Pius Dirr:

Dr. Pius Dirr war ein deutscher Politiker und Archivar.

1917 wurde er zunächst Direktor des Stadtarchivs München, dann Abgeordneter in der Kammer der Abgeordneten DDP und dann anschließend Abgeordneter des bayerischen Landtags.

 

1919 verfasste Pius Dirr aus den Untersuchungen und Akten der Kommission des bayerischen Landtags seine Edition: „Bayerische Dokumente zum Kriegsausbruch“. Dirr sammelte Argumente gegen die deutsche Kriegsschuld, indem er Eisners Veröffentlichung als Fälschung darstellte.

 

Die Süddeutschen Monatshefte von Paul Nikolaus Cossmann verbreiteten die Thesen Dirrs zur Dokumentenfälschung von Kurt Eisner und unterstützten damit tendenziell Theoretiker der Dolchstoßlegende. Debatten um die Schuld Deutschlands am Ausbruch des ersten Weltkrieges waren aufgrund des Kriegsschuld-Artikels 231 im Versailler Vertrags seit 1919 in der politischen Diskussion sehr präsent. Der Bayerische Landtag organisierte daher 1919 eine Kommission, die das gesamte mit Kurt Eisner zusammenhängende Aktenmaterial untersuchen und überprüfen sollte. 

Ministerpräsident Kurt Eisner ließ 1918 Unterlagen, die Deutschlands Schuld am Krieg bestätigten und dadurch auch Militär und Spitzen des Staates belasteten, gekürzt veröffentlichen. Letztlich gelang es Eisners Gegnern nicht, ihm eine gezielte Dokumentenfälschung nachzuweisen. Umso mehr wurde jedoch von den politischen Gegnern, zu denen Dirr gezählt werden kann, darauf hingewiesen, dass Eisner die Dokumente verkürzt veröffentlicht hatte.

 

Abschließend bleibt zu sagen, dass die Frage der deutschen Kriegsschuld, je nach politischer Einstellung, sehr unterschiedlich beurteilt wurde und so erbitterte Debatten auslöste, dass der Hass auf die politisch anders denkenden am Extremismus und am Scheitern der Weimarer Republik beträchtlichen Anteil hatte.

 

Bis heute ist, trotz der inhaltlichen Richtigstellungen, das Gedenken an Eisners geschichtliche Bedeutung von solchen parteipolitischen Vorbehalten stark beeinträchtigt. 


Kurt Eisners Rede "An die Bevölkerung Münchens"

Das furchtbare Schicksal, das über das deutsche Volk hereingebrochen ist, hat zu einer elementaren Bewegung der Münchener Arbeiter und Soldaten geführt. Ein provisorischer Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat hat sich in der Nacht zum 8. November im Landtag konstituiert.

Bayern ist fortan ein Freistaat.

Eine Volksregierung, die vom Vertrauen der Masse getragen wird, soll unverzüglich eingesetzt werden.

Eine konstituierende Nationalversammlung, zu der alle mündigen Männer und Frauen das Wahlrecht haben, wird so schnell wie möglich einberufen werden.

Eine neue Zeit hebt an !

Bayern will Deutschland für den Völkerbund rüsten. Die demokratische und soziale Republik Bayern hat die moralische Kraft, für Deutschland einen Frieden zu erwirken, der es vor dem Schlimmsten bewahrt. Die jetzige Umwälzung war notwendig, um im letzten Augenblick durch die Selbstregierung des Volkes die Entwicklung der Zustände ohne allzu schwere Erschütterung zu ermöglichen, bevor die feindliche Heere die Grenzen überfluten oder nach dem Waffenstillstand die demobilisierten deutschen Truppen das Chaos herbeiführen.

Der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat wird strengste Ordnung sichern. Ausschreitungen werden rücksichtslos unterdrückt. Die Sicherheit der Person und des Eigentums wird verbürgt.

Die Soldaten in den Kasernen werden durch Soldatenräte sich selbst regieren und Disziplin aufrechterhalten. Offiziere, die sich den Forderungen der veränderten Zeit nicht widersetzen, sollen unangetastet ihren Dienst versehen.

Wir rechnen auf die schaffende Mithilfe der gesamten Bevölkerung. Jeder Arbeiter an der neuen Freiheit ist willkommen! Alle Beamte bleiben in ihren Stellungen. Grundlegende soziale und politische Reformen werden unverzüglich ins Werk gesetzt.

Die Bauern verbürgen sich für die Versorgung der Städte mit Lebensmitteln. Der alte Gegensatz zwischen Land und Stadt wird verschwinden. Der Austausch der Lebensmittel wird rationell organisiert werden.

Arbeiter, Bürger Münchens! Vertraut dem Großen und Gewaltigen, das in diesen schicksalsschweren Tagen sich vorbereitet!

Helft alle mit, daß sich die unvermeidliche Umwandlung rasch, leicht und friedlich vollzieht.

In dieser Zeit des sinnlos wilden Mordens verabscheuen wir alles Blutvergießen. 

Jedes Menschenleben soll heilig sein!

Bewahrt die Ruhe und wirkt mit am Aufbau der neuen Welt!

Der Bruderkrieg der Sozialisten ist für Bayern beendet. Auf der revolutionären Grundlage, die jetzt gegeben ist, werden die Arbeitermassen zur Einheit zurückgeführt.

Es lebe die bayerische Republik !

Es lebe der Frieden !

Es lebe die schaffende Arbeit aller Werktätigen !

 

München. Landtag, in der Nacht zum 8. November 1918

in: Münchener Neueste Nachrichten, 8.11.1918 



Die Rede "An die Bevölkerung Münchens" von Kurt Eisner im historischen Kontext und aus der Sicht von Zeitgenossen

Auf den ersten Blick wirkt Eisner am Anfang seiner Rede noch unsicher und angespannt, engste Vertraute wie sein Sekretär Fechenbach wissen, dass er sich gerne verhaspelt. Umso beeindruckender erscheint ihnen die Rede, die Eisner nun den Arbeiter-/Soldaten- und Bauernräten präsentiert. Er beginnt mit den Worten: 

„An die Bevölkerung Münchens! 

Das furchtbare Schicksal, das über das deutsche Volk hereingebrochen, hat zu einer elementaren Bewegung der Münchener Arbeiter und Soldaten geführt. Ein provisorischer Arbeiter- Soldaten- und Bauernrat hat sich in der Nacht zum 8. November im Landtag konstituiert. 

Bayern ist fortan ein Freistaat!“[1 - siehe Quellen]

 

Die Menge jubelt und applaudiert. Mit seiner Rede bringt Eisner einen Stein ins Rollen, die Revolution ohne Blutvergießen zum Erfolg zu führen und den Grundstein für unsere heutige Demokratie in Bayern zu legen. Er selbst wäre wahrscheinlich nie auf den Gedanken gekommen, dass erst ein weiterer Weltkrieg sowie die Weimarer Republik überstanden werden mussten, bevor Bayern nach 1945 eine stabilere Demokratie werden konnte. Noch in der Nacht vom 7. auf den 8. November 1918 verfasste der Schriftführer Wilhelm Herzog die Proklamation, die am nächsten Morgen in den Zeitungen und auf Aushängen zu lesen ist.

„Die Dynastie der Wittelsbacher ist abgesetzt! Es lebe die Republik.“[2 - siehe Quellen]

Mit dieser Proklamation schließt sich das Kapitel der Monarchie und ein Neues öffnet sich. Nach Eisners Ermordung im Januar 1919 radikalisiert sich die Revolution in  Bayern. Die Räterepublik wird ausgerufen und von der Gegenrevolution blutig niedergeschlagen. Gustav Landauer wird ermordet, Erst Toller flieht in die USA und nimmt sich aus Enttäuschung in New York das Leben. Andere Revolutionäre wie Felix Fechenbach werden später von Nationalsozialisten ermordet. Viele sind in Vergessenheit geraten. Die Gräber von Kurt Eisner und Gustav Landauer findet man heute auf dem Jüdischen Münchner Nordfriedhof.

 



Die "Thule-Gesellschaft" und der Mord an Kurt Eisner

Die rassistische und antisemitische  „Thule-Gesellschaft, Orden für deutsche Art“ war ein politischer Geheimbund, von Rudolf von Sebottendorf in München im August 1918 gegründet. Vorgänger der Thule Gesellschaft waren der Germanenorden und der Reichshammerbund. Als Hauptziel des Germanenordens wurde formuliert, Juden und ihre Aktivitäten zu überwachen, entsprechende Informationen zu sammeln und diese zu verbreiten. Wer dem Orden beitreten wollte, musste eine tadellose „germanische“ Abstammung nachweisen, durfte nicht körperlich behindert sein und sollte idealerweise blondes Haar, blaue bis hellbraune Augen und eine helle Haut aufweisen. 1912 propagierte der Germanenorden eine „arisch-germanische religiöse Wiedergeburt“. Mit dem Ziel einer rassisch reinen deutschen Nation forderte er bereits die Deportation von „Juden, anarchistischen Mischlinge[n] und Zigeuner[n]“. Zu den verwendeten Symbolen gehörte auch das Hakenkreuz.

Mit dem Reichshammerbund wollte der Gründer Theodor Fritsch die verschiedenen deutschen völkisch-antisemitischen Gruppierungen des politischen Antisemitismus der Kaiserzeit zu einem Verband vereinen. Eines seiner berühmtesten Mitglieder war Anton Graf von Arco auf Valley, der am 5. Februar 1897 in St. Martin im Innkreis geboren wurde. Graf von Arco auf Valley wurde wegen der jüdischen Herkunft seiner Mutter Emmy von Oppenheim aus der Thule-Gesellschaft ausgeschlossen. Um sich zu beweisen, erschoss er am 21. Februar 1919 in München Kurt Eisner, der wie Arco aus einer jüdischen Familie stammte. Der englische Historiker Nicholas Goodrick-Clarke beschreibt  Arco von Valley als „einen jungen Juden, der über seinen Ausschluss aus der Thule-Gesellschaft aufgebracht war und durch den Mord an Kurt Eisner seine nationale Gesinnung zeigen wollte.“ Anfang 1920 wurde Arco-Valley vor einem Volksgericht, des Mordes angeklagt und am 16. Januar zunächst zum Tode verurteilt. Allerdings führte der politisch rechtsstehende Richter Georg Neithardt in seiner Urteilsbegründung aus, dass die Tat seiner Meinung nach durchaus „nicht niederer Gesinnung, sondern glühender Liebe zum Vaterland“ entsprungen sei. Einen Tag später wurde Graf Arco begnadigt aufgrund der genannten Motive; die Todesstrafe wurde umgewandelt in eine als ehrenvoll geltende Festungshaft. Im Mai 1924 wurde Graf Arco vorzeitig auf Bewährung entlassen. 1927 folgte seine endgültige Straferlassung. Im Juni 1945 starb er bei einem Verkehrsunfall in Salzburg.

 

Folgen Sie uns außerdem auf unserem Instagram-Account!

Wie hat Ihnen unsere Stadtführung gefallen? Schicken Sie uns Ihre persönliche Bewertung! Wir freuen uns über Ihr Feedback!